Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Streikrecht ist ein hohes, im Grundgesetz verankertes Gut. Aber Streiks schmerzen auch. Ganz besonders dann, wenn man zwar vom Streik betroffen, aber nicht Teilnehmer der Tarifauseinandersetzung ist. Zudem häuften sich die Streikmaßnahmen im öffentlichen Personennah- und Fernverkehr. Betroffen waren hiervon die Deutsche Bahn, einschließlich der S-Bahn, und die BVG. 
In Deutschland darf nur gestreikt werden, um den Arbeitgeber zum Abschluss eines Tarifvertrages zu bewegen. Somit sind politisch motivierte Streiks, wie beispielsweise in Frankreich, ausgeschlossen. Der Streik ist immer das letzte Mittel der Beschäftigten im Arbeitskampf. Diesem gehen häufig mehrere Verhandlungsrunden voraus. Gerade bei den sog. systemrelevanten Bereichen ist das öffentliche Interesse und die mediale Berichterstattung besonders groß und häufig leider auch einseitig. In den Medien wurde der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, als egoistischer Zänker diffamiert, die Forderungen der Gewerkschaft pauschal als unberechtigt zurückgewiesen. Es wurde behauptet, die Kunden der Deutschen Bahn befänden sich in der Geiselhaft der GDL und die DB versuche doch, mit allen ihr möglichen Mitteln diesen Konflikt zu beenden. Diese, wie gesagt, einseitige, Darstellung ist leider fehlerhaft. Sowohl Deutsche Bahn als auch GDL haben sich in den abgelaufenen Verhandlungsrunden angenähert, aber leider lange keinen Kompromiss gefunden. Dabei wurden häufig nur die Angebote der DB vorgetragen, und dies dann auch noch verkürzt. So wurde bei einem Angebot zur prozentualen Lohnerhöhung die Laufzeit des Tarifvertrages nicht erwähnt. Die hat aber enormen Einfluss auf die tatsächliche Auswirkung der Lohnerhöhungen. So mag ein Angebot von beispielsweise 10 % als hoch erscheinen, bei einer Laufzeit von drei Jahren verbleiben dann aber doch nur etwas mehr als 3 % jährlich. Knackpunkt war aber in diesem Tarifkonflikt die Arbeitszeit. Die GDL forderte die Einführung einer 35-Stunden-Woche mit Lohnausgleich sowie grundsätzlich eine 5-Tage-Woche. Hier geht es also um die Arbeitsbedingungen, die natürlich auch ausschlaggebend für die Attraktivität eines Berufes sind. Mittlerweile haben sich die Tarifparteien aber glücklicherweise einigen können und diese Tarifauseinandersetzung ist beigelegt. Vor Ende Februar 2026 wird es von Seiten der GDL keine weiteren Streikmaßnahmen geben.

Als Gewerkschafter finde ich es aber erschreckend, dass aus der Politik Stimmen laut werden, die eine Einschränkung des Streikrechts für bestimmte Berufsgruppen fordern. Nämlich hauptsächlich für die Berufsgruppen, die als systemrelevant gelten. Berufsgruppen, die für unsere Gesellschaft so wichtig sind, dass beispielsweise in der Corona-Zeit nicht auf sie verzichtet werden konnte. Hierbei handelt es sich häufig um Berufsgruppen, die viel mit persönlicher, direkt am und für den Menschen erbrachten Dienstleistung zu tun haben. Neben den Beschäftigten im öffentlichen Personennah- und Fernverkehr sind das z.B. auch Beschäftigte in den Krankenhäusern. Eine Berufsgruppe, die sich durch eine hohe Arbeitsmotivation und großen persönlichen Einsatz auszeichnet.
Eine Einschränkung des Streikrechts würde gerade Berufsgruppen treffen, die so schon kaum in der Lage sind, sich wirksam für ihre Rechte einzusetzen. Auch wenn ein Streik noch so ärgerlich ist, er das eigene Leben noch so sehr einschränkt, entsteht er doch nicht aus dem Spaß am Streiken, sondern aus der Notwendigkeit der Durchsetzung der Interessen der Arbeitnehmerschaft. Eine Einschränkung des Streikrechts würde viele Beschäftigte stärker von den Interessenlagen ihrer Arbeitsgeber abhängig machen und ganz sicher nicht zu einer Verbesserung der Attraktivität dieser häufig schon dramatisch unterbesetzten Berufe führen. Eine Einschränkung des Streikrechts und der damit verbundene Verlust der Arbeitnehmer für ihre Interessen kämpfen zu können, würde die betroffenen Berufe in prekäre Arbeitsverhältnisse führen.

Darum gilt: Finger weg vom Streikrecht!

Liebe Grüße

Oliver Thiess