Am 21. Dezember 2022 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe die Verfassungsbeschwerde der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und des Landes Berlin, die diese im Februar 2021 (Aktenzeichen 1 BvR 382/21) gegen zwei Urteile (Aktenzeichen 4 AZR 195/20 und 4 AZR 196/2020 vom 9. September 2020) des Bundesarbeitsgerichts (BAG) eingelegt hatten, nicht zur Entscheidung anzunehmen und für unzulässig zu erklären. Zum einen sei die TdL als Arbeitgebervereinigung, die am vorhergehenden Verfahren nicht beteiligt war, nicht beschwerdebefugt und hätte zunächst selbst eine fachgerichtliche Klärung vornehmen müssen. Zum anderen sei das Land Berlin nicht beschwerdeberechtigt, weil keine Ausnahme von dem Grundsatz, dass juristische Personen sich nicht auf das Grundgesetz beziehen können, vorliege. Das Land Berlin sei keine eigenständige, vom Staat unabhängige Einrichtung wie beispielsweise eine Rundfunkanstalt. Durch die Verfassungsbeschwerde sollte geklärt werden, dass die beiden angegebenen BAG-Urteile gegen die Grundrechte der TdL sowie des Landes Berlin in Sachen Tarifautonomie verstoßen würden.

In den beiden genannten BAG-Urteilen wurde entschieden, dass für die Bestimmung des Arbeitsvorgangs zur tariflichen Bewertung der Tätigkeit von Beschäftigten nach § 12 Abs. 1 TV-L das Arbeitsergebnis maßgebend ist. Ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, ist dabei mittels einer natürlichen Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der durch den Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitsorganisation zu beurteilen. Hierbei bleibt die tarifliche Wertigkeit der einzelnen Tätigkeiten oder Arbeitsschritte außer Betracht. Ein Arbeitsvorgang kann daher Einzeltätigkeiten enthalten, die bei gesonderter Beurteilung unterschiedlich zu bewerten wären. Erst nachdem die Bestimmung des Arbeitsvorgangs erfolgt ist, ist dieser anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten. Durch die beiden Klagen haben sich die Beschäftigten erfolgreich die Eingruppierung in eine höhere Entgeltgruppe des Tarifvertrags der Länder (TV-L) erstritten.

Zur Wichtigkeit der Bestimmung eines Arbeitsvorgangs ist vereinfacht Folgendes zu erläutern: Bei Tarifbeschäftigten wird eine „auszuübende Tätigkeit“, also ein allgemeiner Aufgabenkreis, durch den Arbeitgeber auf Dauer übertragen. Dieser Aufgabenkreis besteht aus diversen gebündelten Arbeitsvorgängen, die in einer Arbeitsplatzbewertung festgehalten werden. Ein einzelner Arbeitsvorgang umfasst alle notwendigen Handlungen, die zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führen. Diesen Handlungen werden Zeitanteile und Merkmale (bspw. gründliche, vielseitige oder umfassende Fachkenntnisse, selbständige Leistung, verantwortungsvolle Tätigkeit, usw.) zugeordnet. Der einzelne Arbeitsvorgang erfüllt dann das Tätigkeitsmerkmal der höchstbewerteten Handlung. Dementsprechend ist für Tarifbeschäftigte ein weitreichender und umfassender Arbeitsvorgang günstiger als sogenannte „atomisierte“ Arbeitsvorgänge. Zum Schluss findet eine Gesamtbewertung statt, die zur Eingruppierung in die entsprechende Entgeltgruppe führt.

Schaubilder

Es wird ein Arbeitsvorgang dargestellt, mit dem Auftrag „Bearbeitung von Anträgen auf…“, der aus zwölf einzelnen Arbeitsschritten besteht. Der höchstwertige Vorgang ist rot gekennzeichnet.

Schaubild 1: Einheitlicher Arbeitsvorgang (alle einzelnen Arbeitsschritte zählen zu einem Vorgang, die Gesamtbewertung richtet sich nach dem höchstwertigen Vorgang (rot))

 

Schaubild 2: Atomisierter Arbeitsvorgang (die einzelnen Arbeitsschritte werden unterschiedlich gewichtet und zu einzelnen Arbeitsvorgängen zusammengefasst, der bisher höchstwertige Vorgang (rot) geht in der Folge unter)

Legende:

1: Eingang, 2: Bearbeitung, 3: Abwägung, Entscheidung,     4: Bescheid, 5:  Abwicklung

Quelle: eigene Darstellung nach Daten der dbb akademie

Schon seit geraumer Zeit bestehen seitens der TdL Bestrebungen, Arbeitsvorgänge neu – also kleiner, „atomisiert“ – zu definieren und dadurch die Grundlagen der tariflichen Eingruppierung und somit die Höhe der Entgelte der Tarifbeschäftigten negativ zu beeinflussen. Dies würde bei rund 800.000 Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder bei gleicher auszuübender Tätigkeit durch schlechtere Eingruppierungen zu nicht unerheblichen Einkommenseinbußen führen. Für die gleiche Arbeit gäbe es somit weniger Geld.

Die DSTG schätzt daher, dass weiterhin die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Thema „Ganzheitlicher Arbeitsvorgang“ gilt. Sie wird sich auch zukünftig dafür einsetzen, dass dies so bleibt und auch umgesetzt wird. Des Weiteren fordert die DSTG als Mitgliedsgewerkschaft des dbb beamtenbund und tarifunion Berlin die TdL auf, im September eine konstruktive und wertschätzende Tarifpolitik hinsichtlich der anstehenden Tarifverhandlungen zu betreiben.