Nach Prüfung der gewünschten Effekte der Verwaltung, der auftretenden
strukturellen und sachlichen Probleme kommt die DSTG zu 7 Ablehnungsgründe für
die Einführung der Stufe 6 des FA 2010, die im Folgenden auch ausführlich
begründet werden:

1. Informationsdefizite zwischen der festsetzenden und der Vollstreckungsstelle
lassen sich auch schon mit der Stufe 4 zu FA 2010 wegen der räumlichen
Nähe beider Abteilungen beseitigen (vgl. Rechnungshofbericht vom
27.01.2004).
2. Eine ganzheitliche Bearbeitung ist in der Vergangenheit weder von den
Steuerbürgern noch von den Steuerberatern gefordert worden. Vielmehr hat
sich in der Vergangenheit die Anwendung von Spezialwissen im
Festsetzungsbereich einerseits und im Erhebungsbereich andererseits
bewährt. Nicht umsonst sieht auch die Abgabenordnung zwischen diesen
beiden Bereichen eine strikte Trennung vor.
3. Die komplizierte Steuergesetzgebung macht es unmöglich, aus beiden
Wissensbereichen das Spezialwissen in einer handelnden Person zu bündeln.
Bei der Zusammenführung zu einer Einheit wäre notgedrungen der Verlust
von Spezialwissen in Kauf zu nehmen und damit Verluste bei den
Steuereinnahmen vorprogrammiert.
4. Selbst wenn die DSTG ihre Vorbehalte (vgl. Punkt 3) ignorieren und dem
Gedankenansatz der Senatsverwaltung für Finanzen folgen würde, so wäre
wie dargelegt die Fortbildung des vorhandenen Personals aus Zeitmangel
nicht möglich. Die Neuzuführung von Personal, das angeblich nach der
Laufbahnprüfung „alles kann“ wäre angesichts des kleinen
Einstellungskorridors auch nicht die von der Verwaltung gewünschte Lösung.
5. Schon jetzt und erst recht im Kalenderjahr 2010 ist nicht mehr ausreichend
Personal im mittleren Dienst vorhanden, um das FA 2010 in der geplanten
Struktur umzusetzen.
6. Der hohe Anteil von Arbeitnehmern führt entweder zu einer Umverteilung der
Arbeitsbelastung auf die Beamten oder aber zu Höhergruppierungsansprüchen
bei den Arbeitnehmern.
7. Aus Gründen der Beachtung rechtsstaatlicher Gesichtspunkte und der
Verfahrenssicherheit ist die Stufe 6 nicht umzusetzen.

Gewünschte Effekte der Verwaltung (in Fettdruck):
• Sichtweise der Verwaltung: Als Hauptargument für die Einführung bzw. die
Umsetzung der Stufe 6 zum FA 2010 (Zusammenlegung zum
Festsetzungs/Erhebungsplatz) wurden die immer wieder vom Rechnungshof
festgestellten Informationsdefizite zwischen der Veranlagungsstelle und
der Vollstreckungsstelle herangezogen.

Gegenargumente der DSTG: Aber mit Bericht vom 27. Januar 2004 über die
Ergebnisse der Untersuchung zu dem Pilotverfahren „Ganzheitliche
Fallbearbeitung“ hat der Rechnungshof festgestellt, dass diese Defizite schon
durch die räumliche Nähe zwischen den Sachgebieten – also schon bei der
Stufe 4 (Sachgebiete nur in räumlicher Nähe ohne gegenseitige Vertretung) –
entscheidend verbessert würden (vgl. 6.4 des Rechnungshofsberichts).

• Sichtweise der Verwaltung: Optimale Kundenorientierung bei Stufe 6.
Gegenargumente der DSTG: Die Kundenorientierung findet sein Optimum in
der Tatsache, dass der Steuerbürger in räumlicher Nähe auf ausgemachte
Fachleute und Spezialisten für seine Anliegen trifft und nicht auf Kolleginnen
und Kollegen, die von allem ein „gefährliches Halbwissen“ besitzen.

• Sichtweise der Verwaltung: Im Zusammenhang mit der „optimalen
Kundenorientierung“ ist der Arbeitsansatz der Verwaltung zu beleuchten, der
eine Ganzheitlichkeit in der Verantwortung in einem Team, nicht aber in der
Bearbeitung fordert.

Gegenargumente der DSTG: Es handelt sich bei diesem Arbeitsansatz um
eine Mogelpackung. Es wird den Beschäftigten hiermit suggeriert, dass jeder
für einen nicht näher definierten Zeitraum weiter in seinen alten
Zuständigkeiten der Stufe 4 verbleiben kann. Gleichzeitig wird in der
Zieldefinition davon gesprochen, dass „Zug um Zug eine Erweiterung der
Kenntnisse und die Einarbeitung in weitere Aufgabenbereiche erfolgen wird“.
Ein Prozess im Übrigen, der durch Schulungsangebote und individuelle
Personalentwicklungsmaßnahmen unterstützt werden soll. Entlarvend ist aber
der letztendlich gewünschte Zielansatz, dass mit der Stufe 6 Ausfallzeiten
besser kompensierbar seien. Das setzt aber die Ganzheitlichkeit in der
Bearbeitung voraus. Die Kompensierbarkeit von Ausfallzeiten zwischen
Festsetzern auf der einen und Erhebern auf der anderen Seite gelingt auch bei
Stufe 4.

• Sichtweise der Verwaltung: Umfangreiche Entwicklungsperspektiven für
alle Beschäftigten (niemand wird ausgeschlossen).

Gegenargumente der DSTG: Dass die Ganzheitlichkeit in der Bearbeitung
nicht sofort umgesetzt werden soll, resultiert nicht aus der Erkenntnis der
Verwaltungsspitze, dass diese Forderung nur mit erheblichen
Qualitätsverlusten erfüllbar wäre. Eine derartige Erkenntnis existiert nicht oder
wird geleugnet. Diese „vorsichtige“ Herangehensweise ist lediglich der
Tatsache geschuldet, die Beschäftigten „nicht unnötig verschrecken zu
wollen“. Letztendlich werden die Beschäftigten jedoch hintergangen, da von
der Verwaltung in absehbarer Zeit eine Ganzheitlichkeit in der Bearbeitung
gewünscht und erwartet wird. Den meisten Beschäftigten ist dennoch die
Absicht klar und führt bei ihnen schon zu einer erheblichen Demotivation.
Die Hoffnung der Verwaltung, hierbei einen schleichenden Prozess der
Wissenserweiterung in Gang setzen zu können, hält die DSTG für nicht
realistisch.

Schon die hohen Arbeitsbelastungen durch die ständig größer werdende
Kompliziertheit der Steuergesetzgebung und des massiven Stellenabbaus
stellen die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten auf eine harte Probe. Sie
lassen freie zeitliche Kapazitäten zur Einarbeitung von Kollegen in das eigene
Wissensgebiet und aktives Lernen von Kollegen aus anderen
Wissensgebieten nicht zu. In seinem eigenen Sachbereich dem eigenen
Qualitätsanspruch und der Forderung des Dienstherrn nach Aufrechterhaltung
und Erweiterung des Wissensstandes zu genügen, überschreitet in den
meisten Fällen schon die zeitlichen Kapazitäten für die erforderlichen
Fortbildungsmaßnahmen. Mehr geht nicht.

Des Weiteren mutet es merkwürdig an, wenn von Verwaltungsvertretern jovial
eingeräumt wird, die Zielsetzung der ganzheitlichen Bearbeitung mit dem
jetzigen Personal schwerlich erreichen zu können, da „jeder seinem Bereich
so überaus stark verhaftet sei“.

Als Lösung aber dann darauf hinzuweisen, dass jeder eingestellte Anwärter
nach bestandener Laufbahnprüfung ja diese Voraussetzung erfüllen würde,
kommt einer Verhöhnung gleich. Die Frage muss hier dann schon erlaubt sein,
ob die Verwaltung bei dieser Argumentation und dem in der Realität niedrigen
Einstellungskorridor nicht eher von einem Strukturmodell FA 2080 reden
müsste.

Strukturelle Probleme aus der Sicht der DSTG

Die Personalstruktur im Festsetzungs- und Erhebungsplatz (Stufe 6 FA 2010) soll
nach Auffassung der Verwaltung aus 2 Sachbearbeitern des gehobenen und 4
Mitarbeitern des mittleren Dienstes bestehen.

Für sich allein betrachtet wirft diese Zusammensetzung kein Problem auf. Diese
Struktur, die bis zum Jahr 2010 umgesetzt werden soll, ist aber im Kontext mit einer
anderen Personalmaßnahme der Senatsverwaltung zu sehen, die ebenfalls bis zum
Kalenderjahr 2010 umgesetzt sein soll: Das bisherige prozentuale Verhältnis in den
Finanzämtern vom mittleren Dienst von 55% zum gehobenen Dienst von 45% soll
umgekehrt werden.

Es lässt sich unschwer erkennen, dass rein rechnerisch beide Modelle nicht
nebeneinander gefahren werden können. Hinweise von der DSTG, den örtlichen
Personalräten, des Gesamtpersonalrats und der Mehrzahl der Vorsteher/innen, dass
bereits zum jetzigen Zeitpunkt die personellen Vorstellungen der Senatsverwaltung
für Finanzen mit den Gegebenheiten in den Finanzämtern nicht in Einklang zu
bringen sind, führten bei der Senatsverwaltung zu keinerlei Einsicht.

Es ist in Berlin auch nicht außer acht zu lassen, dass – anders als in allen anderen
Bundesländern – der prozentuale Anteil von Arbeitnehmern in den Finanzämtern
sehr hoch ist (derzeit rund 20-25%). Der universellen Einsetzbarkeit dieser
Beschäftigtengruppe sind nach BAT und der der jeweiligen Vergütungsgruppe
zugrunde liegenden BAK (Beschreibung des Arbeitskreises) natürliche Grenzen
gesetzt. Hinweise von Personalräten, Gewerkschaften und Vorsteher/innen, dass
vermehrt Höhergruppierungsansprüche entstehen, wurden bislang von der
Senatsverwaltung ignoriert bzw. in Abrede gestellt.

Rechtliche Probleme aus der Sicht der DSTG

Die Zusammenlegung von SG Festsetzung und SG Erhebung verstößt aus der Sicht
der DSTG gegen vorrangige rechtsstaatliche Gesichtspunkte und unterläuft die
gewünschte Verfahrenssicherheit.

Nicht zuletzt auf Initiative des Rechnungshofs ist in § 77 der
Landeshaushaltsordnung der Hinweis aufgenommen worden, dass – aus Gründen
der Verfahrenssicherheit – die festsetzende und erhebende Stelle nicht in einer
Zuständigkeit sein darf.

Der Rechnungshof hat in seinem Prüfungsbericht vom 27.04.2004 bei der Prüfung
der Stufe 6 zum FA 2010 (Anmerkung: Im Bericht ist die noch alte Begrifflichkeit des
Kombi-Sachgebiets erwähnt; inhaltlich besteht jedoch kein Unterschied zum jetzigen
Begriff der Stufe 6 des FA 2010) hierzu noch einmal ausführlich Stellung genommen.
So führt er unter 8.1 seines Berichtes wie folgt aus:

“Innerhalb des Finanzamtes sind die Aufgaben der Vollstreckungsbehörde den
Vollstreckungsstellen übertragen, die als besondere, von der Finanzkasse und den
festsetzenden Stellen getrennte Stelle eingerichtet sind. Hierdurch soll auch
möglichen Unregelmäßigkeiten begegnet werden, die sich ergeben könnten, wenn
die genannten Funktionen innerhalb der Finanzämter von ein und derselben Stelle
ausgeübt werden könnten. Die organisatorische Trennung dient damit letztlich
rechtsstaatlichen Gesichtspunkten. Im FA 2010 ist dagegen nicht auszuschließen,
dass diese Funktionen sogar von ein und derselben Dienstkraft ausgeübt werden.“
Weiterhin weist der Rechnungshof im gleichen Bericht unter 8.2 auf die Probleme
hinsichtlich der Einhaltung der Verfahrenssicherheit hin. So gibt er folgendes zu
bedenken:“ Die Steuerverwaltung hat in den vergangenen zehn Jahren dem
Rechnungshof über sieben Manipulationsfälle, die im Festsetzungsbereich
aufgedeckt wurden, berichtet. Dies deutet darauf hin, dass Betrugsmöglichkeiten in
der festsetzenden Stelle erheblich höher sind als beispielsweise im
Vollstreckungsinnendienst, zu dem die Steuerverwaltung keinen Manipulationsfall
aufgedeckt hat. Wenn aber im FA 2010 neben den Dienstkräften des
Festsetzungsbereichs auch noch die Dienstkräfte des Vollstreckungsdienstes im
Rahmen der besonders betrugsanfälligen Steuerfestsetzung tätig werden, erhöht
sich die Gefahr der Manipulationen beträchtlich. Daher steht aus Sicht des
Rechnungshofs zu befürchten, dass die flächendeckende Einführung der Stufe 6
dem Wunsch, die Zahl der Manipulationsfälle zu minimieren, entgegensteht.
Hingegen würde bei einem Nebeneinander der Sachgebiete „Festsetzung“ und
„Erhebung“ hinsichtlich des möglichen Täterkreises der Status Quo beibehalten
werden. Die Oberfinanzdirektion (Anmerkung: Damals noch existent und zuständig)
sollte daher in ihr angekündigtes Konzept zur Verkürzung der Zeit bis zur
Aufdeckung von Manipulationsfällen diese Problematik mit einbeziehen.“
Den Ausführungen des Rechnungshofes ist aus der Sicht der DSTG nichts
hinzuzufügen.

Steuerliche Auswirkung

Die Abkehr von der Verbranchung hin zur Alphabetisierung in den 90iger Jahren hat
schon zu einer Vernichtung von branchentypischen Fachwissen geführt. Schon
seinerzeit waren Steuermindereinnahmen die Folge, deren Ausmaß niemand seitens
der Verwaltung bereit war zu erforschen.

Die Vernichtung von Fachwissen bei der Stufe 6 zu FA 2010 hätte eine ähnliche
Qualität und wäre ebenfalls in der Folge mit erheblichen Steuereinnahmeverlusten
verbunden. Wie sagte schon eine Führungskraft: “Bei der Umsetzung der Stufe 6
üben wir uns im planmäßigen Vergessen von Fachwissen und sind auf dem besten
Weg zu Universaldilettanten“.

Interesse der Beschäftigten

Die Beschäftigten in der Steuerverwaltung sowohl im Sachgebiet Festsetzung als
auch im Sachgebiet Erhebung überzeugten in der Vergangenheit mit ihrem hohen
Maß an Fachkompetenz und der Bereitschaft zu eigenverantwortlichem Handeln.
Bislang gehen die Beschäftigten hochmotiviert ihren Tätigkeiten nach und wollen im
Auftrag des Fiskus ihr Fachwissen auch anwenden und gute Arbeitsergebnisse
erzielen. Bekennendes Ziel – und auch von den Beschäftigten so verinnerlicht – ist
das volle Ausschöpfen der vorhandenen Steuerquellen, um einen Beitrag zum
Gemeinwohl zu leisten.

Die Umsetzung der Stufe 6 zum FA 2010 würde ihnen jedoch die Illusion rauben,
dass dieses überhaupt in der Zukunft noch erwünscht ist.
Es sollte daher alles unterlassen werden, die leistungsbereiten Beschäftigten in den
Finanzämtern zu demotivieren.

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