Laut Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Finanzen vom 23. Januar 2023 führt das Land Berlin ein eigenes Gütesiegel ein, das besonders die Familienfreundlichkeit in den Blick nimmt. Das Gütesiegel „familienfreundlicher Arbeitgeber Land Berlin“ soll demnach die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf unterstreichen. Ziel sei es, die Attraktivität als Arbeitgeber zu stärken und die Zufriedenheit der Beschäftigten zu steigern.

Finanzsenator Daniel Wesener: “Das Ziel muss eine landesweite, behördenübergreifende Arbeitskultur sein, die familiäre Verpflichtungen und Care-Arbeit als Selbstverständlichkeit sieht und nicht als Hindernis. Ob im Büro, unterwegs oder in den eigenen vier Wänden: Am Ende des Tages zählt, was Beschäftigte leisten können. Umso wichtiger sind zeitgemäße Strukturen und Umgangsformen, aber auch passgenaue Angebote zur Erleichterung des Arbeitsalltags und für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.”

 Zur Steigerung seiner Attraktivität im Rahmen der Personalgewinnung und der langfristigen Personalbindung ist es für den öffentlichen Dienst unerlässlich, als ein moderner Arbeitgeber wahrgenommen zu werden und attraktive und familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu schaffen, die flexibel auf die individuelle Lebensführung der Beschäftigten Rücksicht nehmen. Es wundert also nicht, dass sich die technischen und rechtlichen Arbeitsbedingungen stetig verändern müssen und die Voraussetzungen für die genannten Ziele nach und nach geschaffen werden.

In seinem Karriereportal wirbt das Land Berlin mit Familienfreundlichkeit. So heißt es: „Das Land Berlin bietet Ihnen vielseitige Möglichkeiten, um Arbeits- und Privatleben in Balance zu halten.“ Telearbeit im Homeoffice oder auch mobiles Arbeiten seien möglich. Was in der Theorie der Wahrheit entspricht, stellt sich jedoch in der Praxis in den meisten Finanzämtern ganz anders dar.

Den Wunsch der Beschäftigten nach mehr Flexibilität, besserer technischer Ausstattung mit angepasstem Druckerkonzept oder aber auch die Möglichkeit der Nutzung von Videokonferenzsystemen, die dem Steuergeheimnis und dem Datenschutz Rechnung tragen, konnte auch die neue lang ersehnte DV Telearbeit nicht erfüllen.

Die Gewinnung neuen Personals hat aufgrund der Folgen des demografischen Wandels absolute Priorität. Hier geht es neben der Besetzung aller Ausbildungs- und Studienplätze aber auch um die Gewinnung neuer Führungskräfte. Viele junge Menschen und ältere Nachwuchskräfte haben wir in beiden Laufbahngruppen in den vergangenen Jahren begrüßen dürfen und es werden hoffentlich noch viele dazukommen, um die Personalabgänge kompensieren zu können. Mit diesem Generationenwandel verändern sich auch die Erwartungen der Beschäftigten. Sie erwarten einen modernen Arbeitgeber, der Wort hält. Einen Arbeitgeber, der nicht nur das Karriereportal mit großartigen Vorteilen ausschmückt, Presseerklärungen zu lebensphasenorientierten Zertifikaten gibt und Plakate mit dem Leitbild aufhängt. Sie erwarten, dass diese Konzepte auch mit Leben gefüllt werden. Worte müssen auch zu Taten werden!

Leider erleben wir in den Finanzämtern nicht immer ein von Flexibilität, technischem Fortschritt und Moderne geprägtes Bild. Um diesen Eindruck zu ändern, sind hier insbesondere die Amtsleitungen in der Verantwortung. Und damit beginnt das oben genannte Zitat unseres Senators ins Wanken zu geraten, denn eine behördenübergreifende Arbeitskultur im Rahmen der Telearbeit wird nicht gelebt.

Vielmehr haben wir 23 und voraussichtlich bald 24 Einzelregelungen zur Umsetzung der DV Telearbeit – jeweils abhängig von der Interpretation der Amtsleitung oder aber ihrer persönlichen Einstellung hinsichtlich moderner Arbeitsformen. Die Spanne reicht von Finanzämtern, in denen die Anzahl der möglichen Tage laut DV Telearbeit mit vier Tagen voll ausgeschöpft werden kann, bis zu Finanzämtern mit maximal zwei Tagen. Die Möglichkeit innerhalb eines Tages vom Büroarbeitsplatz zum Telearbeitsplatz zu wechseln wird auch nicht überall gerne gesehen. Bei den Führungskräften zeigen sich viele Amtsleitungen hinsichtlich der Vergabe eines Telearbeitsplatzes oder bei der Anzahl der Tage ebenfalls eher zurückhaltend. Gerade aber auch bei den Führungskräften erweisen sich die Vereinbarungen über die Verteilung der einzelnen Tage auf Büro und Telearbeitsplatz als wenig zielführend. Eine Führungskraft sollte die Möglichkeit haben, bedarfsorientiert zu handeln. Eine strikte vorherige Festlegung der Wochentage ist daher unter Berücksichtigung der dienstlichen Erfordernisse kaum möglich und erscheint unpassend. Ein permanenter Wechsel der Tage ist aber durch die Amtsleitungen nicht immer erwünscht. Auch die Frage, wie man mit Beschäftigten in der Probezeit, nach Elternzeit oder langer Krankheit umgeht, ist eine Frage des Dienstortes.

Das kann es aus Sicht der DSTG Berlin nicht sein! Hier muss konsequent auf die Einhaltung einheitlicher Vereinbarungen geachtet und die technischen Möglichkeiten müssen weiter vorangetrieben werden. Ein Ansatz wäre der weitere flächendeckende Ausbau der mobilen Arbeit und der Videotelefonie in den Finanzämtern, sodass bedarfsorientiertes Arbeiten zu einer Vereinbarkeit zwischen den Bedürfnissen der Beschäftigten und den dienstlichen Erfordernissen führen kann.

 So ist es daher nicht verwunderlich, dass das hier umworbene Gütesiegel bisher lediglich an drei Berliner Behörden verliehen wurde und sich darunter kein Berliner Finanzamt befindet. In Anbetracht der Tatsache, dass das Land Berlin mit seinen rund 131.300 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber der Region ist und die Zuständigkeit für dieses Personal, was die Schaffung der rechtlichen Rahmenbedingungen betrifft, bei der Senatsverwaltung für Finanzen liegt, ist diese verpflichtet selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Und dies gilt nicht nur für das eigene Haus, welches bereits erstmals 2011 und viermal wiederholt als familienbewusste Verwaltung “audit beruf und familie” zertifiziert wurde, sondern dieses Bestreben sollte auch für die ihr nachgeordneten Behörden gelten.

Als DSTG Berlin werden wir den neuen Finanzsenator Stefan Evers gerne an die Worte seines Vorgängers erinnern, wenn es um die Frage geht, weshalb es schwer fällt, Personal zu gewinnen oder weshalb Beschäftigte den Finanzämtern vermehrt den Rücken kehren. Die Antwort könnte sein, dass die freie Wirtschaft und auch andere Behörden eine moderne Arbeitswelt leben, anstatt lediglich von ihr zu berichten.

“Für Bewerberinnen und Bewerber zählt nicht nur das konkrete Jobangebot, sondern auch das Arbeitsumfeld und die berufliche Perspektive. Das Gesamtpaket muss stimmen. Dies gilt umso mehr in Zeiten des Fachkräftemangels und demografischen Wandels. Die Herkulesaufgabe einer adäquaten Personalgewinnung werden wir daher nur meistern, wenn wir uns beherzt dem Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt stellen.”, so Wesener.