Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Jahr 2024 hat begonnen. Aber nicht irgendwie ruhig und entspannt. Nein, es beginnt mit einem Aufreger. Das Recherchenetzwerk correctiv hat ein Treffen rechtsextremer Personen im November 2023 öffentlich gemacht, bei dem es um die Verdrängung und Deportation von Millionen von Menschen aus Deutschland geht. Ein Netzwerk aus Menschen aus der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft plant die Säuberung Deutschlands von Allem, was für sie „nichtdeutsch“ ist. Das sind in ihren Augen zuallererst Menschen, die in irgendeiner Art und Weise einen sog. Migrationshintergrund, heute wird eher von Migrationsgeschichte gesprochen, haben. Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, deren Familien hier seit Generationen leben, die unsere Kolleginnen und Kollegen, Nachbarn und Freunde sind, sollen gedrängt werden, Deutschland freiwillig oder unfreiwillig zu verlassen.

Nicht nur mich erinnert das an eine dunkle Zeit in der Vergangenheit Deutschlands, von deren Überwindung ich bis vor einiger Zeit noch überzeugt war.

Im Steuer- und Grollblatt Nr. 6 aus 2023 habe ich schon über das Problem des Alltagsrassismus gesprochen. Mittlerweile erreichen die rechtsextremen Umtriebe in unserer Gesellschaft aber einen weiteren erheblichen Umfang und manifestieren sich in konkreten Planungen zur Vernichtung menschlicher Existenzen. Als demokratische Gesellschaft können wir diesem Treiben nicht weiter zusehen. Wir haben es lange genug hingenommen, dass Personen aus dem rechten Spektrum die Demokratie und unsere freiheitlichen Werte untergraben und nutzen, um in ihren Augen Lästiges zu beseitigen. Bürger werden aufgrund äußerlicher Merkmale diffamiert, ausgegrenzt, benachteiligt und bedroht. Kolleginnen und Kollegen fühlen sich nicht mehr sicher und fürchten sich vor institutionellen Repressalien. Ich möchte das nicht länger ertragen. Wir können das nicht länger mitansehen. Die gesellschaftliche Mitte ist aufgestanden und zeigt den Rechten, wer das Volk ist.

Ich möchte an dieser Stelle einen Freund zitieren, der sagte: „Ich mache meine Arbeit sehr gerne, ich möchte sie aber nicht unter den Rechten machen.“ Und mit dieser Einstellung steht er nicht allein da.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen die Entwicklungen nicht weiter nur „beobachten“. Jetzt ist die Zeit für ein „Wehret den Anfängen“. „Nie Wieder“ ist jetzt. Jetzt ist es Zeit aufzustehen und Gesicht zu zeigen. In vielen Städten organisieren sich die Menschen, demonstrieren und stellen klar: „Wir wollen das nicht.“ Ich und die Landesleitung der DSTG Berlin unterstützen diese Aktionen. Bitte unterstützen Sie sie auch.

Und Allen, die jetzt sagen: „Was hat denn das mit Steuern und unserer Verwaltung zu tun?“ Denen antworte ich: Sehr viel. Kolleginnen und Kollegen sehen sich dieser Bedrohung ausgesetzt, haben Angst. Unsere Verwaltung ist Bestandteil eines Staates der Gutes, aber auch Schlechtes mit dieser Verwaltung erbringen vermag. Wir alle wissen, was unser Verwaltungshandeln anrichten kann. Deshalb haben diese Vorgänge auch sehr viel mit unserer Steuerverwaltung zu tun.

Ich würde auch lieber über Stellungnahmen zu neuen Gesetzesvorhaben, über Probleme oder Erfolge in der Steuer-IT und amtsangemessene Besoldung schreiben. Aber die gesellschaftlichen Entwicklungen betreffen nun einmal uns alle. 

Zudem möchte das Land Berlin, in Umsetzung des Partizipationsgesetzes, bei seinen Beschäftigten den Migrationshintergrund abfragen. Die Ziele dieses Partizipationsgesetzes, dass die Verwaltung auch die gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegelt, sind aus meiner Sicht richtig. Die Frage ist, ob der Weg der richtige ist. Auch wenn diese Befragung anonym und freiwillig ist, gibt es doch Bedenken, einen vorhandenen Migrationshintergrund anzugeben. Und ist es nicht auch so, dass Menschen, die in unserer Verwaltung wahrgenommen werden wie alle anderen, die von den allermeisten behandelt werden wie alle anderen, ohne dass man sie dazu besonders zwingen muss, dadurch doch wieder in ein Sonderrolle gedrängt werden? Diese Diskussion gibt es bei der Förderung aller marginalisierten Gruppen. Und wenn ich mich hinstelle und darüber rede, mag das seltsam erscheinen, da ich keine marginalisierte Person bin. Ich bin Bestandteil einer Mehrheitsgesellschaft. Ich reflektiere das, was mir von Kolleginnen und Kollegen zugetragen wird, die Bedenken, die meine Freunde und Kollegen haben. Und darüber kann und werde ich nicht schweigen, sondern reden.

Liebe Grüße

Oliver Thiess