Der stellvertretende Landesvorsitzende Oliver Thiess im Interview mit dem Steuer-und Grollblatt

Grollblatt : Herr Thiess, können Sie bitte die aktuelle Personalstruktur in der Berliner Finanzverwaltung darlegen?

Thiess : Sehr gerne. Wir haben in den Finanzämtern und der Senatsverwaltung aktuell 7.154 Beschäftigte. Davon sind 81 Prozent Beamte und 29 Angestellte. Von den Beschäftigten entfallen 3 Prozent auf den einfachen Dienst, 42 auf dem mittleren Dienst, 50 Prozent auf den gehobenen Dienst und der 5 Prozent auf den höheren Dienst.

Grollblatt : Wie sehen die Personalabgänge bis 2025 aus?

Thiess : Wir erwarten bis 2025 einen immensen Altersabgänge: gut 2.000 Beschäftigte, also über 20 Prozent des Personals gehen in Pension oder werden verrentet.

Grollblatt: Es müssen bis 2025 also ca. 2.000 Beschäftigte eingestellt und ausgebildet werden?

Thiess: Nein, das sind nur die Altersabgänge, die ausgeglichen werden müssen. Zusätzlich wird in der Finanzverwaltung aktuell noch mit der sogenannten Entbehrungsquote gearbeitet, immerhin 795 Beschäftigte. Auch diese Entbehrungsquote muss aus unserer Sicht abgeschafft werden.

Grollblatt: Entbehrungsquote? Was verstehen Sie darunter?

Thiess: Ich verstehe darunter eine ungeheuerliche Zumutung für sämtliche Beschäftigte in den Finanzämtern. Ich kann Ihnen aber sagen, was die Senatsverwaltung darunter versteht: Seit dem Finanzsenator Herrn Dr. Thilo Sarazin wird in der Personalbedarfsberechnung ein fiktiver Abschlag in Höhe von 10% des planmäßig benötigten Personals vorgenommen. Die Begründung hierfür lautet, dass die Finanzverwaltung auch mit einer Personaldecke von 90% in ausreichendem Maße arbeitsfähig sein soll. Das bedeutet, wir arbeiten aktuell gar nicht mit dem vollen Personalbestand, sondern eben nur mit 90%. Aus meiner Sicht muss dieser Missstand bis spätestens 2025 aus der Welt geschafft werden.

Grollblatt: Aber aus den Medien erfährt man doch regelmäßig, dass die Erledigungszahlen in den Berliner Finanzämtern hervorragend sind. Sind die von Ihnen angesprochenen 10% des Personals nicht tatsächlich „entbehrlich“?

Thiess: Dass die Finanzämter so gut arbeiten, liegt in erster Linie am engagierten und couragierten Einsatz aller Berliner Kolleginnen und Kollegen in den Finanzämtern. Auf der anderen Seite muss man sich aber vergegenwärtigen, dass die Arbeitsbelastung in den Finanzämtern beständig ansteigt, was natürlich auch daran liegt, dass auf 10% des benötigten Personals schlicht verzichtet wird. Das hat dann auch die immense Krankheitsquote von 13% in den Finanzämtern zur Folge. Die Tendenz ist hierbei eher steigend. Wir beobachten, dass insbesondere schwerwiegende Erkrankungen immens zunehmen. Da sich diese Krankheitssymptomatik in den letzten Jahren zu verstetigen scheint, muss es hierfür Gründe geben. Aus Sicht der DSTG Berlin spielt der Stressfaktor bei der Arbeit eine Hauptrolle hierbei. Im Übrigen kommt durch die Bearbeitung der durchzuführenden Einheitsbewertungen aufgrund der zu erwartenden Neufassung des Grundsteuergesetzes eine umfangreiche Zusatzaufgabe auf die Finanzämter zu, die durch das vorhandene Personal schlicht nicht bewältigt werden kann. Aus diesem Grund müssen eben nicht nur die Altersabgänge der kommenden Jahre ausgeglichen werden, sondern muss gleichzeitig auch die Entbehrungsquote abgeschafft werden. Andernfalls kann die Arbeitsfähigkeit in den Finanzämtern mittelfristig nicht mehr gewährleistet werden.

Grollblatt: Verstehe ich Sie richtig, dass damit insgesamt 2.000 (Altersabgänge) und 795 (Entbehrungsquote) neue Finanzbeamte bis 2025 ausgebildet werden müssen?

Thiess: Ja.

Grollblatt: Reichen denn die Ausbildungszahlen aus, um dem von Ihnen geschilderten Ausbildungsbedarf gerecht zu werden?

Thiess: Nein. Die DSTG Jugend hat errechnet, dass bis 2025 mindestens 670 Beschäftigte fehlen, wenn die Entbehrungsquote nicht abgeschafft und die aktuellen Ausbildungszahlen nicht gravierend angehoben werden. Wir sprechen von der Personalausstattung zweier großer Finanzämter!

Grollblatt: Wie hoch sind die denn aktuellen Ausbildungszahlen?

Thiess: Im gehobenen Dienst will die Verwaltung für 2019 210 Anwärter im gehobenen Dienst und im mittleren Dienst 170 Anwärter einstellen.

Grollblatt: Wie hoch müssen die Ausbildungszahlen sein, um dem von Ihnen geschilderten Engpass bis 2025 zu begegnen?

Thiess: Nach Auffassung der DSTG müssen jährlich mindestens 200 Anwärter im mittleren Dienst und 250 Anwärter im gehobenen Dienst eingestellt werden.

Grollblatt: Aktuell werden doch schon Anwärter nach Wildau ausgegliedert. Gehen mit der Erhöhung der Ausbildungszahlen nicht weitere Probleme einher?

Thiess: Die gestiegenen Ausbildungszahlen haben gezeigt, dass das Aus- und Fortbildungszentrum den wachsenden Anforderungen der Ausbildungsbeteiligten nicht gerecht werden kann und AnwärterInnen an die TA Wuppertal in Wildau ausgegliedert werden mussten. Diesem Kapazitätsengpass soll durch zusätzliche Baumaßnahmen begegnet werden, die bis mindestens 2024 anhalten werden. Damit sollen AnwärterInnen offenbar auch bis mindestens 2024 nach Wildau ausgliedert werden. Nach Ablauf der Bauzeit sollen dann wieder alle Anwärter auf dem Campus in Königs Wusterhausen untergebracht werden können. Aus unserer Sicht gibt es bei der Planung der benötigen Ausbildungskapazitäten einen immensen Grunddissens: In der Senatsverwaltung für Finanzen wird regelmäßig ausgeführt, dass die Ausbildungszahlen in der Finanzverwaltung nicht mehr wesentlich erhöht werden müssen, um die Altersabgänge der kommenden Jahre auszugleichen. Wir schließen daraus, dass bei der Bauplanung davon ausgegangen wird, dass – zumindest um den Berliner Ausbildungsbedarf zu decken – zusätzliche Bauten nur in dem Umfang geplant werden, um die aktuellen Ausbildungszahlen zu bewältigen. Die durchgeführten Baumaßnahmen müssen nach meiner Ansicht allerdings so umfangreich sein, dass bei Fertigstellung der Gebäude eben nicht nur die aktuellen AnwärterInnenzahlen wieder auf dem Gelände des Aus- und Fortbildungszentrums unterrichtet werden können, sondern eben auch dem sich abzeichnenden zusätzlichen Ausbildungsbedarf gerecht werden.

Grollblatt: Herr Thiess, nach alledem, welchen Umgang mit dieser Thematik würden Sie sich von den Entscheidungsträgern wünschen?

Thiess: Ich würde mir einen möglichst offenen Diskurs zu diesem Thema wünschen, einen Diskurs, in dem sämtliche Ausbildungsbeteiligte ihre Karten offen auf den Tisch legen: das Land Berlin muss endlich offen sagen, mit welchen absoluten Ausbildungszahlen es bis zum Jahr 2025 rechnet, und hierbei insbesondere den Abbau der Entbehrungsquote berücksichtigen. Erst dann kann entschieden werden, in welchem Umfang Baumaßnahmen in Königs Wusterhausen durchgeführt werden müssen und ob die Platzkapazitäten dort für derartige Baumaßnahmen ausreichen. Sollten Neubauten nicht im erforderlichem Maße realisiert werden können, müssen Alternativen diskutiert werden. Auch eine zusätzliche Bildungseinrichtung in Berlin darf dann kein Tabu mehr sein.

Grollblatt: Herr Thiess, vielen Dank für das Interview.