Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn Sie die obige Frage mit „ja“ beantworten, sind Sie vermutlich ein Fan der Gebrüder Grimm. Aber auch heutzutage stößt man auf kürzere Erzählungen, die von fabelhaften und wunderbaren Begebenheiten berichten, die allesamt frei erfunden sind und keinerlei wirkliche Begebenheiten als Grundlage haben (vgl. Definition „Märchen“ in Wikipedia). An dieser Stelle seien Ihnen die Veröffentlichungen der Senatsverwaltung für Finanzen zum Thema EOSS empfohlen. Diese kommen der Realität in den Finanzämtern ebenso nah wie die Feststellung, dass für den Schnee Frau Holle verantwortlich ist. Oder verstehen Sie, dass SenFin immer wieder (und zwar öffentlich, mit Vorliebe in der Presse) verbreitet, wir lägen mit der Einführung der modernen Software voll im Plan?

Da drängt sich schon die Frage auf, was die Verantwortlichen in der Senatsverwaltung für modern halten und wie ihr Plan aussah. Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet modern wohl, dass mit zeitgemäßen Mitteln und möglichst wenig Aufwand das angestrebte Ziel erreicht wird. Die Bedienung der EOSS-Programme ist mit Ausnahme der Büroanwendungen – aber OpenOffice haben wir ja auch nicht aus dem EOSS-Verbund übernommen – alles andere als zeitgemäß. Und wenn in den bisherigen Verfahren längst überwundene Zwischenschritte, ergänzt um noch nie dagewesene auftauchen, trägt dies nun eindeutig nicht zur Effizienz bei. Mal abgesehen von der Suche nach in allen Verfahrensteilen verstreuten Informationen, unzureichenden Schulungen,  fehlendem Juris- und Internetzugang sowie nicht vorhandenen oder fehlerhaften Vorlagen. Diese Liste lässt sich fast beliebig erweitern, was aber hier den Rahmen sprengen würde. Und das Thema Leitungsprobleme zum Server in Cottbus will ich an dieser Stelle auch nicht vertiefen. Hatte SenFin etwa den Plan, die Finanzämter mit der EOSS-Umstellung lahm zu legen? Wenn dem so wäre – was ich doch nicht zu glauben vermag – dann lägen wir wirklich voll im selben.

Damit hier kein falscher Eindruck aufkommt, sage ich an dieser Stelle ganz deutlich: Die Entscheidung zur Einführung von EOSS war grundsätzlich richtig – allerdings ist der Umstellungszeitpunkt erheblich verfrüht gewesen. Die Schuld für die eingetretene Situation liegt nicht bei denen, die die Umstellung zu stemmen hatten bzw. haben – also nicht bei den Programmierern, Stammmultiplikatoren usw., die mit Massen von Überstunden und vollstem persönlichen Einsatz ihr Möglichstes getan haben. Verantwortlich sind die Führungskräfte, die die EOSS-Umstellung allen Hinweisen, Anregungen, Bedenken und vor allem allen Problemen sowie Erfahrungen anderer Länder zum Trotz ohne Wenn und Aber zum 1. Januar 2008 durchgepeitscht haben. Und die diese Aufgabe von Anfang an klein geredet haben (Beispiel gefällig?: „Die Erhebung hat vor EOSS mit BiFi gearbeitet und wird unter EOSS auch mit BiFi arbeiten, da ändert sich ja nicht viel.“ – Wozu dann aber eine Umstiegshilfe im Umfang von 60 (in Worten: sechzig!) Seiten?). Ganz zu schweigen von der Verharmlosung in der Öffentlichkeit, die erwartungsgemäß die Presse verleitet zu behaupten, die Beschäftigten der Berliner Steuerverwaltung seien zu blöd, mit den neuen Programmen umzugehen. Die Ignoranz der Verantwortlichen in der Senatsverwaltung mit der Aussage, dass es durch die Umstellung allenfalls zu einer Verzögerung bei der Bescheiderteilung kommen könnte, ist ja nicht mehr zu überbieten. Oder ist dort einfach nicht mehr bekannt, wie die Finanzämter arbeiten?

Ich empfehle Herrn Hennig, Herrn Plock, Herrn Kannemann, Frau Tschernett und anderen: Kommen Sie in die Finanzämter und schauen Sie sich die Situation vor Ort an. Aber nicht für zwei Stunden in gemütlicher Runde mit Vorsteher und Sachgebietsleitern! Nein, zwei Wochen in Festsetzung und Erhebung in direkter Auseinandersetzung mit EOSS und dem Bürger. –  Danach können Sie mitreden!

Mit besten Grüßen

Mario Moeller

stellv. Vorsitzender der DSTG Berlin

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